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               Und Äktschen: Tom Singer - Heißes Blei

(1)

Mit langen Schritten hetzte Tom Singer die Straße entlang. Seit vier Stunden wurde er von den Killern des „Clans“ verfolgt, und nun sah es so aus, als hätte er es endlich geschafft zu entkommen. Dachte er.

Er bog in eine kleine Gasse ein, ließ sich in einen Hauseingang hineinfallen und holte keuchend Atem.

In diesem Moment bog ein schwarzer Mercedes mit quietschenden Reifen in die Gasse ein. Schon bevor er den Hauseingang erreicht hatte, hämmerte eine Maschinenpistole los, und die Kugeln pfiffen Tom beängstigend nah um die Ohren. Er konnte sich gerade noch zu Boden fallen lassen, und als der Wagen vorbei war, sprintete er los und hechtete über einen niedrigen Zaun, hinter dem sich ein Schrottplatz befand.

Die Mühe hätte er sich sparen können, denn kaum war er gelandet, erklang auch schon eine rauhe Stimme hinter ihm: „Okay, Bulle, das reicht, nimm die Pfoten hoch!“

Tom Singer hörte die sich nähernden Schritte des Mannes und spürte gleich darauf den Lauf einer Pistole in seinem Rücken. Er hatte keine andere Wahl, und so streckte er folgsam die Hände in die Höhe und blickte dabei in die bösartigen Augen eines schwarzhaarigen Mannes. Sein südländisch wirkender Gegner griff zielstrebig um ihn herum und zog die SIG Sauer P228 aus seinem Schulterhalfter. Dann schob er Tom vor sich her zum Ausgang des Schrottplatzes, wo bereits der Benz auf sie wartete.

Drei Männer sprangen aus dem Wagen und kamen ihnen entgegen. Pagini, der „Zigeuner“, ging voran, und seine beiden Gorillas folgten mit ausgefahrenen Schultern einen Schritt hinter ihm.

„Gute Arbeit, Guiseppe“, sagte Pagini, „der Knabe entwischt uns nicht noch einmal.“

Dann stellte er sich direkt vor seinen Gefangenen, zündete sich eine Zigarette an, und blies Tom den Rauch ins Gesicht. „Und du Superbulle dachtest wohl, du könntest abhauen, was?“

Tom Singer gab keine Antwort. Einen Moment lang dachte er daran, Guiseppe den Ellenbogen in den Magen zu rammen und zur Seite zwischen die abgestellten Schrottkarren zu springen. Doch dann erblickte er die beiden Revolver in den Händen der Gorillas und überlegte es sich anders. Er glaubte nicht, dass sie ihn gleich hier kaltmachen würden – das war nicht Paginis Stil. Er bevorzugte „Unfälle“, und bevor sie so etwas vorbereitet hatten, würde sich gewiss noch eine bessere Möglichkeit zur Flucht bieten.

„Du Drecksbulle sprichst wohl nicht mit jedem? Bist zu fein dafür, was?“

Der „Zigeuner“ grinste breit, doch seine Augen blieben eiskalt. Er holte kurz aus und schlug seine Faust mit voller Wucht in Toms Magengrube. Sein nächster Schlag traf die Kinnspitze, und Tom Singer ging mit glasigem Blick zu Boden.

„Los, Jungs, bringt ihn zum Wagen.“

Die Gorillas ergriffen die Arme und Beine des Polizisten und schleppten ihn zum Benz. Dort warfen sie ihn brutal auf den Hintersitz, nahmen auf beiden Seiten von ihm Platz und umklammerten seine Arme mit eisernem Griff.

Pagini ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und Guiseppe setzte sich ans Steuer. Er ließ den Motor kurz aufheulen und Sekunden später bog die schwarze Limousine in die Hauptstraße ein.

 

(2)

Die Fahrt endete im düsteren Hinterhof einer verfallenen Bruchbude, wo ihn die beiden Gorillas zum Keller hinunterschleppten. Am Ende eines langen Ganges blieben sie vor einer schweren Eisentür stehen. Der eine der beiden öffnete die Tür, während der andere Toms Fuß blockierte und ihm gleichzeitig einen heftigen Stoß in den Rücken versetzte. Tom Singer landete kopfüber im Dreck des Fußbodens, und gleich darauf wurde die Tür hinter ihm geschlossen und ein Metallriegel mit schnarrendem Geräusch zugeschoben.

Tom rappelte sich auf, klopfte den Dreck von seiner Kleidung und strich sich dann vorsichtig übers Kinn. Der Schlag des „Zigeuners“ war deutlich zu spüren, und die leichte Schwellung würde man wohl noch eine ganze Weile sehen können.

Wütend über diesen Schandfleck in seinem harten, männlichen Gesicht holte er die Zigaretten aus seiner Brusttasche. Er steckte sich eine Filterlose an und inhalierte tief. Nach ein paar Zügen mit geschlossenen Augen entspannte er sich und fühlte sich nun imstande, nach einem Ausweg aus seiner misslichen Lage zu suchen.

Er befand sich in einem mittelgroßen, weißgetünchten Raum, der früher einmal der Heizungskeller des Hauses gewesen war, jetzt jedoch als Rumpelkammer verwendet wurde. An den Wänden erkannte man noch die dunklen Spuren von Dreck hinter dicken Heizungsröhren, die hier damals befestigt gewesen waren.

In einer Ecke des Raumes waren Holzkisten gestapelt, und gleich daneben standen ein paar alte Polstermöbel. Auf dem Fußboden sah man alle möglichen Haushaltsartikel, vom Dosenöffner bis zum Besen, die unordentlich im Raum verstreut herumlagen.

Als Tom sich umgesehen hatte, kam ihm ein plötzlicher Gedanke, wie er seinen unfreiwilligen Aufenthalt womöglich verkürzen konnte. Augenblicklich machte er sich dran, seinen Fluchtplan in die Tat umzusetzen.

Zuerst nahm er sämtliche Kissen und Decken von den Polstermöbeln und legte sie auf den Boden nahe der Wand, an der die Heizungsrohre ihre Spuren hinterlassen hatten. Er nahm einen Stein auf und warf ihn auf die so entstandene Geräuschdämmung. Ein zufriedenes Grinsen huschte über Toms Züge, denn es war fast nichts zu hören gewesen.

Anschließend trug er die Kisten zu dieser Wand hinüber und stapelte sie so hoch auf, dass sie einen halben Meter unter der Decke endeten. Schließlich lief er eine Weile suchend im Raum herum, bis er einen alten Schraubenzieher gefunden hatte, der noch einigermaßen stabil erschien.

Jetzt war alles vorbereitet! Tom Singer kletterte vorsichtig die Kisten hinauf und begann, mit seinem Werkzeug im Winkel zwischen Wand und Decke den Putz abzuschaben.

Nach weniger als zehn Minuten hatte er einen guten Quadratmeter freigelegt, und seine Vermutungen hatten sich bestätigt. Das Loch, das damals beim Entfernen der Rohre entstanden war, hatte man tatsächlich nur notdürftig zugeputzt, und es schien nicht weiter schwierig, dort eine mannsbreite Öffnung auszustechen.

Ganz so leicht war es dann doch nicht, und Tom brauchte fast eine halbe Stunde, bis ihn nur noch eine zentimeterdicke Putzschicht vom Zimmer darüber trennte und er den Schraubenzieher schweißgebadet wegstecken konnte.

Er schlug mit der Faust ein paarmal gegen die Decke, dann kam ihm die bröckelnde Masse entgegen und der Weg nach oben war frei.

Das war dann aber auch das Letzte, was nach Plan verlief. Als er sich nämlich mit einem kräftigen Stoß nach oben wuchtete, um sein Gefängnis endgültig zu verlassen, da war diese Bewegung zu viel für den ziemlich wackligen Kistenstapel. Mit lautem Getöse fiel der Aufbau in sich zusammen, und Tom Singer wusste sofort, dass ihm jetzt nicht mehr viel Zeit für seine Flucht bleiben würde.

Und tatsächlich: als er den mit zahlreichen Möbelstücken vollgestopften Raum, in den er sich hochgewuchtet hatte, mit langen Schritten durchquert und die Tür erreicht hatte, hörte er draußen Rufe und Schritte, die sich aber schnell wieder entfernten. Er vermutete, dass die beiden Gorillas in den Keller gingen um nachzusehen, wo der Lärm hergekommen war.

Tom Singer war klar, dass er sich jetzt beeilen musste. Er drückte vorsichtig die Klinke hinunter und schlich nach draußen in einen Flur, an dessen Ende er die Wohnungstür erspähte. Auf Zehenspitzen bewegte er sich dem Ausgang zu, doch er kam nicht weit, denn plötzlich öffnete sich rechts von ihm eine Tür und das entgeisterte Gesicht von Giovanni starrte ihn an.

Tom zögerte keine Sekunde. Er versetzte dem Gangster einen genau berechneten Uppercut auf die Kinnspitze und beobachtete zufrieden, wie sich der Blick seines Gegners trübte, ehe er kraftlos zu Boden sank. Aus der Tasche des Jacketts ragte unübersehbar die SIG Sauer P228 heraus, und nachdem Tom ihm die Waffe abgenommen und wieder in seinem Schulterhalfter verstaut hatte, fühlte er sich bedeutend wohler.

Der Raum, in dem sich Giovanni aufgehalten hatte, war leer. Offenbar war der „Zigeuner“ inzwischen wieder weggefahren – vielleicht wollte er ja gerade Toms „Unfall“ vorbereiten. Dem Polizisten konnte dies nur recht sein. Er durchquerte schnellen Schrittes den Raum, öffnete das Fenster, und stand gleich darauf auf dem regennassen Pflaster des Hinterhofs.

Nach einem kurzen Sprint erreichte er die Hauptstraße und hielt dort ein Taxi an. Er nannte dem Fahrer „BKA-Zentrale am Treptower Park“ als Fahrtziel und ließ sich aufatmend in die Polster zurückfallen.

 

(3)

Die megaphonverstärkte Stimme des Regisseurs übertönte das Gemurmel der Umstehenden.

„Super, Leute, die Szene haben wir im Kasten! Das war’s dann auch für heute – wir sehen uns morgen wieder zur üblichen Zeit!“

Karl Wunderlich, der die Rolle des Tom Singer im Actionreißer „Heißes Blei“ spielte, schob sich aus dem Taxi hinaus und trottete mit gesenktem Kopf hinüber zum Nebengebäude mit den Garderoben. Eine halbe Stunde später sah man ihn in seinem VW Golf sitzen, wie er das Gelände vom Studio Babelsberg verließ und seinen Wagen in den Strom der Durchschnittsbürger einfädelte, die nach einem stinknormalen Arbeitstag nach Hause fuhren.

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